Vorbildliche VAR-Entscheidungen bei Handspielsituationen

Wenige Vergehen werden im Fußball so emotional diskutiert, wie ein mögliches Handspiel – besonders wenn es in der Folge zu einem Strafstoß (umgangssprachlich Elfmeter) kommen würde. Vier solche Handspiel-Szenen sorgten am vergangenen Wochenende der ADMIRAL Bundesliga für Gesprächsstoff.

Ich glaube es gehört zum Schiedsrichter-Leben dazu, dass über Entscheidungen diskutiert wird. Aber in den vier Handspielsituationen wurde regeltechnisch richtig entschieden“, freut sich Andreas Fellinger. Der VAR Instructor und Head of Referee Department des ÖFB erklärt im Interview, wieso die Schiedsrichter so entschieden und warum sich der VAR vorbildlich verhalten hat.

oefb.at: Herr Fellinger, können Sie die Aufregung um die Entscheidungen vom vergangenen Wochenende verstehen?

Fellinger: Ich verstehe natürlich, dass es für einen Verein schwer nachvollziehbar ist, wenn zwei gepfiffene Strafstoßentscheidungen wieder revidiert werden. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wenn ein Trainer sagt, dass es zwar regeltechnisch richtig war, aber man trotzdem hätte anders entscheiden sollen. Diesen Spielraum hat ein Schiedsrichter nicht. Wenn es regeltechnisch falsch ist, kann man nicht auf Strafstoß entscheiden, nur weil es dem Spiel vielleicht guttun würde. Es bleibt festzuhalten, dass alle Situationen aus regeltechnischer Sicht korrekt gelöst wurden.

oefb.at: Vier Szenen, zweimal Elfmeter nach Eingreifen des VAR, zweimal wurde ein Elfmeter durch die Intervention des VAR zurückgenommen. Wie bewerten Sie die Aktionen?

Fellinger: Aus Schiedsrichter-Sicht waren die Entscheidungen bei der Partie zwischen der Admira und Ried eindeutiger, deshalb der VAR-Eingriff klarer. Die Situationen bei der Partie zwischen Red Bull Salzburg und Sturm waren schwieriger, wurden aber, wie bereits eingangs erwähnt, richtig entschieden.

oefb.at: Was waren die Unterschiede zwischen den Aktionen? Dass der Ball vom eigenen Körper an die Hand gesprungen ist?

Fellinger: Es geht nicht nur darum, dass der Ball vom eigenen Körper an den Arm springt bzw. vom Spieler gespielt wurde. Im vergangenen Sommer gab es Anpassungen bei der Handspielregel. Die größte Änderung ist, dass die natürliche Armbewegung in die Entscheidung miteinbezogen wird. Eine natürliche Armbewegung lag bei der ersten Situation in der Admira-Partie jedoch nicht vor. Der Verteidiger hatte den Arm auf Kopfhöhe, befand sich aber nicht im Sprung, dann hätte man die Haltung zum ausbalancieren noch diskutieren können. Bei so einer Armhaltung riskiert ein Spieler immer ein strafbares Handspiel, auch wenn es keine aktive Bewegung der Hand zum Ball gibt. Eine aktive Bewegung zum Ball war hingegen bei der zweiten strafbaren Handspielsituation in der Südstadt erkennbar. Bei der ersten Situation in Salzburg war der Arm im 90-Grad-Winkel abgewinkelt und verbreiterte seinen Körper seitlich nicht, somit kann man von einer natürlichen Armhaltung im Fußball sprechen. In der zweiten Situation der Begegnung attackiert Ulmer als Verteidiger den Sturm-Angreifer. Er hat den Arm relativ nahe am Körper, das ist keine unnatürliche Verbreiterung. Zudem springt Ulmer der Ball von der eigenen Hüfte an den Arm. Auf den Bildern sieht man außerdem, dass Ulmer die Hand unmittelbar nach der Berührung zurückzieht, also eine aktive Bewegung weg vom Ball durchführt.

oefb.at: Aus Sicht eines Schiedsrichter-Offiziellen und VAR Instructor waren die Entscheidungen und das Eingreifen des VAR vorbildlich?

Fellinger: Aus VAR-Sicht war es sicherlich im Rahmen des VAR Protokolls und nachvollziehbar. Es wird immer Diskussionen geben, ob es sich um eine klare, offensichtliche Fehlentscheidung handelt und somit ein Eingriff des VAR gerechtfertigt ist. Gerade die Natürlichkeit der Armbewegung ist auf dem Feld oft schwer erkennbar. Dabei handelt es sich um subjektive Wahrnehmungen. Wenn ein Schiedsrichter nach Ansicht der VAR-Bilder beim OFR (on field review) diese Natürlichkeit nicht erkennt, kann er ja auch bei seiner ursprünglichen Entscheidung bleiben. In diesen Fällen wurde die Richtigkeit des VAR-Eingriffs aber durch die Revision der Entscheidung untermauert.

oefb.at: Aber wäre es bei der Situation mit Ulmer nicht besser gewesen, wenn der Schiedsrichter auf Vorteil entschieden hätte? So wurde Sturm eine aussichtsreiche Situation abgepfiffen und nach der Überprüfung der Bilder bekam Salzburg den Ballbesitz.

Fellinger: Nein, es war die richtige Entscheidung abzupfeifen, weil der Schiedsrichter ja ein Handspiel erkannt hat, das einen Strafstoß zur Folge gehabt hätte. Die verzögerte Unterbrechung des Spieles gilt vor allem für knappe Abseitsentscheidungen. Bei Foulsituationen muss man es differenzierter sehen. Da muss dann in unmittelbarer Folge schon eine ganz klare Chance vorliegen, beispielsweise wenn ein Angreifer vor dem leeren Tor stehen würde. Aber in der Situation mit Ulmer war der Angreifer seitlich im Strafraum, zudem waren noch andere Verteidiger im Strafraum und somit in der Lage einzugreifen. Da kann man nicht von einer direkten Torchance sprechen.

oefb.at: Zum Abschluss: Ist die Handspielregel zu kompliziert?

Fellinger: Die Handspielregel wurde in den vergangenen Jahren ja einige Male angepasst. Bis zum Sommer gab es die Regelung, dass es als Handspiel zu ahnden ist, wenn ein Arm über Schulterhöhe den Ball berührt. Daraufhin gab es von Trainern und Spielern den berechtigten Einwand, dass man die Arme aber nun einmal brauchen würde, um bei einem Sprung Schwung zu holen. Dem wurde Rechnung getragen, indem die Natürlichkeit der Bewegung miteinbezogen wurde. Die Beurteilung der Natürlichkeit macht es für die Schiedsrichter aber nicht einfacher, weil es sich dabei um eine subjektive Wahrnehmung handelt. Zuvor gab es einen messbaren Faktor (Anm.: Arm über Schulterhöhe), jetzt ist der subjektive Entscheidungsrahmen für den Schiedsrichter größer geworden. Eine einhundertprozentige Lösung wurde für die Handspielregel noch nicht gefunden.